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galerie hochdruck
 
Wunderkammer VII
Im Rahmen der Ausstellung "Künstler als Gebrauchsgrafiker und Illustratoren"

 
George Grosz ECCE HOMO

Alle 16 Farbtafeln der unzensierten Ausgabe B II, Malik-Verlag, Berlin 1922/23.

18.6.-31.8.2018

Zu den Abbildungen English

"Ecce Homo", die vielleicht berühmteste Grafikfolge von Georg Groß, der sich ab 1916 in einem Anfall von Ekel vor seinen deutschen Zeitgenossen amerikanisierend George Grosz nannte, ist ein Kompendium voll kommentarloser, beißender Bildsatire - stilistisch ein Mischwesen zwischen dem ausuferndem Furioso eines Hieronymus Bosch, futuristischem Geschwindigkeitsrausch und geometrischer Strenge des Kubismus. Darüber hinaus ist "Ecce Homo" wie jede große Satire von großem Ernst getragen und, wie schon der Titel verrät, voller Anspielungen auf die "ewigen" Menschheitsthemen. In beinahe enzyklopädischem Ausmaß zeugen die Blätter von der Befindlichkeit des Berliner Lebens der Zwischenkriegszeit, mit seinen Spießbürgern, Hochstaplern, Kriegsversehrten und Kriegsgewinnlern sowie den Heerscharen von modernen Sklaven oder (wie wir sie heute nennen würden) "Dienstleistern", die Vorgenannten jederzeit zur Verfügung stehen. Berlin steht dabei pars pro toto für den "ganz normalen" großstädtischen Wahnsinn der Moderne, was den Zyklus mit hohem Aktualitätsgrad ausstattet. Bei Grosz kommt eigentlich kaum einer gut weg (nicht einmal der Künstler selbst, der ein blaues Auge abbekommt), denn auch die Gentleman- und institutionellen Gauner erwischt es irgendwann einmal. Man fühlt sich in Döblins ein paar Jahre später entstandenen Roman "Berlin Alexanderplatz" versetzt, den man als die literarische Entsprechung zu "Ecce Homo" bezeichnen könnte. Hier wie dort sind die "kleinen Leute" Duckmäuser, jederzeit und zu jedem Preis bereit, sich einen auch noch so kleinen Vorteil zu verschaffen und die "Großen" übermächtig, zynisch und brutal. Wenn Grosz überhaupt irgendjemandem gegenüber Sympathie zeigt, dann den in der gesellschaftlichen Rang- und Hackordnung ganz unten stehenden wie z.B. den Prostituierten, die bei Grosz mitunter die Würde von Königinnen ausstrahlen. Grosz steht damit in der Nachfolge von Künstlern mit sozialem Gewissen wie Daumier oder Van Gogh. Erster behandelt die Fehler seiner Zeitgenossen trotz weitgehender Verwendung von weicher Lithokreide sozusagen mit spitzer Feder, während zweiter zumindest in seinem Frühwerk die Milde und das Pathos der Zuneigung für die Unterprivilegierten hervorkehrt. Von beidem hat Grosz' "Ecce Homo" etwas, schon allein wegen der Technik, in der die Vorlagen für die Vervielfältigung als Offset-Lithographien geschaffen wurden: Feder und Tusche für die schwarz-weißen sowie zusätzlich weicher Aquarellpinsel und Wasserfarbe für die farbigen Zeichnungen waren die Mittel der Wahl.  

Es ist kein Wunder, daß "Ecce Homo" nur etwas über ein Jahr lang in seinem kompletten Umfang verkauft werden durfte, denn die Ankläger und Richter waren bald nach Erscheinen auf den Plan gerufen (siehe Artikel unten). Wenn schließlich auch kein Totalverbot erfolgte, so mussten doch zahlreiche Motive aus dem in verschiedenen Buch- und Mappenvarianten herausgegebenen Werk entfernt werden. In der Galerie Hochdruck sind alle 16 farbigen Blätter der unzensierten Mappen-Edition B II zu sehen.

 

Vossische Zeitung, Berlin, 17. Februar 1924

George Grosz verurteilt.
Das "normale Empfinden" siegt.

Wieder einmal hat die Gerechtigkeit gegen einen "unzüchtigen" Künstler ihren Lauf genommen: In dem Prozeß gegen den Maler George Grosz und die Inhaber des Malik-Verlages wegen der Veröffentlichung der Mappe "Ecce Homo", der gestern vor dem Landgericht I Berlin stattfand, wurden die Angeklagten zu einer Geldstrafe von je 500 Goldmark verurteilt. Der Staatsanwalt hatte für Grosz die gleiche, für die beiden Verleger Gumpertz und Herzfeld (sic!) je 1000 M. beantragt; aber mit der geringen Abschwächung des Strafmaßes trat das Gericht seiner Auffassung bei.

Vergeblich suchte Grosz selbst in seiner eindringlichen, sympathisch-unbeholfenen Art klar zu machen, daß es sein leidenschaftliches Bestreben sei, die Schwächen und Laster der Zeit und der Gesellschaft anzunageln, und daß er allerdings glaube, sich diesem Ziele nur nähern zu können, wenn er die Wahrheit rücksichtslos enthülle. Vergebens legten die geladenen Sachverständigen, Reichskunstwart Dr. Redslob, Maximilian Harden und Dr. Max Osborn in ihren Ausführungen dar, daß die deutsche Kunstwelt in Grosz einen Zeitkritiker und einen Künstler von ungewöhnlicher und bleibender Bedeutung erblicke. Vergebens überreichte der Verteidiger Dr. Paul Levi ein Gutachten Max Liebermanns, der Grosz für einen bedeutenden Künstler erklärte und ihn gegen den Vorwurf, die Moral zu gefährden, in Schutz nahm. Immer wieder wird Künstlern und Kunstfreunden jene berühmte Entscheidung des Reichsgerichts vorgehalten, daß ein Kunstwerk, auch wenn es nicht die Lüsternheit erregt, doch als unzüchtig anzusehen sei, wenn es das Scham- und Sittlichkeitsgefühl des normal empfindenden Menschen auch nur leicht verletzt. Es ist wahrlich höchste Zeit, daß die höchste Justizbehörde sich zu anderen Formulierungen entschließt. Zugleich erlebte man es wieder, daß die Urteilsbegründung darauf hinwies, nur dies "normale Empfinden" und nicht die "Anschauungen eines kleinen Kreises" - soll heißen nur Kunstkenner und geistige Menschen - könne als maßgebend angesehen werden. Das bedeutet die Autorität der Unverständigen über die der Verstehenden setzen. Mit einem leisen Schauer wurde man wieder gewahr, daß hier Parteien miteinander verhandeln, die ganz verschiedene Sprachen sprechen und die darum dauernd in tragischem gegenseitigen Mißverstehen verharren. Den Antrag des Staatsanwalts auf Einziehung und Vernichtung der ganzen "Ecce-Homo"-Mappe trat das Gericht jedoch nicht bei. Es verfügte lediglich, daß von den 84 Zeichnungen 17, von den 16 Aquarellreproduktionen fünf aus dem Werk zu entfernen seien.

 
George Grosz ECCE HOMO

All sixteen colour plates from the uncensored BII edition, Malik-Verlag, Berlin 1922/23

Ecce Homo, perhaps the most famous graphic series by Georg Gross, who in 1916 in a fit of disgust for his German contemporaries changed his name to the more American George Grosz, is a compendium of uncommented biting visual satire, a stylistic mixture combining the furious exuberance of a Hieronymus Bosch, a Futuristic love of speed and the geometric stringency of Cubism. Like all great satire, it also has a serious subtext and, as the title suggests, is full of references to the universal themes of humanity. The works offer an almost encyclopaedic view of life in Berlin between the wars, with its “babbitts”, con men, war invalids and war profiteers, and the legions of modern slaves or, as we would call them today, “service providers”, at their beck and call. In that regard, Berlin stands as a symbol of the “normal” urban insanity of the Modernist period, which makes the series highly relevant to today’s world as well. No one gets off scot-free with Grosz (not even the artist himself, shown with a black eye), and even gentlemen thieves and white collar criminals get caught in the end. The pictures evoke Döblin’s novel Berlin Alexanderplatz, which was published a couple of years later and may be regarded as the literary equivalent of Ecce Homo. In both cases, the insignificant yes-men and moral cowards are out to gain whatever small advantage they can, at any time and at any price, and the “bosses” are arrogant, cynical and brutal. If Grosz shows any sympathy, it is towards those at the bottom of the social pecking order, such as prostitutes, who sometimes radiate a majestic dignity. In that regard, Grosz is following in the footsteps of artists with a social conscience like Daumier or Van Gogh. In spite of the extensive use of soft chalk, Daumier sharply illustrated the shortcomings of his contemporaries, while Van Gogh, at least in his early period, communicated his allegiance to the underprivileged with gentleness and pathos. Grosz’s Ecce Homo has a little of both of these, not least on account of the technique used, which was intended to enable the drawings to be reproduced as offset lithographs: pen and ink for the black and white pictures and a soft watercolour brush for the colour drawings.

It is not surprising that the complete set of Ecce Homo was only on sale for just over a year, and that Grosz very soon felt the full weight of the judiciary system. Although the works were not banned in their entirety, many subjects had to be removed from the published books and portfolios. Galerie Hochdruck is showing all sixteen colour sheets from the uncensored BII portfolio edition.

"[June Mansfield] returned with a copy of that sensational album of George Grosz’ Ecce Homo. [...] What a revelation it was! Such unmitigated savagery, such sublime desperation, such remorseless excoriation! An enlightened madman, I thought. A Goya come to life. A more ferocious Goya than ever Goya was. And what magistral, devastating use of the water color medium.” (Henry Miller, in: To paint is to love again, 1968)

       
Umschlag
cover illustration
1. Titel
title page
Titelbl. verso: Auflagen
title p. verso: editions
2. Inhaltsverzeichnis
table of contents
I. Passanten (1921)
Passersby
II. Whisky (1917)
Whisky
III. Schönheit, dich will ich preisen (1920)
Beauty, I shall praise thee
IV. Ecce Homo (1921)
Ecce Homo
V. Pappi und Mammi (1922)
Mommy and Daddy
VI. Niederkunft (1916)
Lying-in
VII. Kraft und Anmut (1922)
Strength and Grace
VIII. Der Mädchenhändler (1918)
The white Slaver
IX. Soirée (1922)
Soirée
X. Johannisnacht (1918)
Midsummer Night
XI. Professor Freud gewidmet (1922)
Dedicated to Professor Freud
XII. Der Mensch ist gut (1921)
People are basically good
XIII. Walzertraum (1921)
Waltz Dream
XIV. Ach, knallige Welt, du seliges Abnormitätenkabinett (1916)
Oh, Crazy World, You blessed Freak Show!
XV. Vor Sonnenaufgang (1922)
Before Sunrise
XVI. Dämmerung (1922)
Twilight
Preis auf Anfrage/POA